Freitag, 28. Oktober 2011

Ausgangsbasis: Die bloß formale Freiheit

Okay, Houston, wir hatten ein Problem. Diese beruhigenden Worte des einstigen Kommandokapselpiloten Jack Swigert werden wir - übertragen auf die derzeitige Schieflage im EURO-Raum - noch länger vermissen. Dabei gibt es genügend Erkenntnisse und erprobte Anwendungsbeispiele - wie in der Technik, um den verfahrenen Karren im Hinblick auf die aktuelle ökonomische Krise nicht noch weiter versinken zu lassen. So finden wir im Baskenland einerseits die lebendige Wirtschaftsdemokratie Mondragón oder in Ägypten etwas weniger demokratisch, doch nicht weniger beachtlich: die seit 1978 erfolgreich durchgeführte Wiederbelebung von Wüstengebieten durch Dr. Ibrahim Abouleish im Rahmen von Sekem. Ganz zu schweigen von den zahlreichen regionalwirtschaftlichen Initiativen zwischen basisdemokratischen Regionalwährungen und EU-geförderten Projekten. Obendrein wissen wir auch, dass wir als dienstnehmende ArbeitgeberInnen ebenso wie als UnternehmerInnen getrieben werden von den einzulösenden Renditeversprechen, verstärkt durch den Zinseszinsmechanismus. Daher der Vorschlag von Stephan Schulmeister im SN-Interview mit Richard Wiens (28.10. 2011, S 16): "Eine systemische Lösung wäre, den Rettungsschirm zu einem echten Europäischen Währungsfonds auszubauen, der zu festen Zinssätzen Eurobonds begibt." Klingt interessant und logisch. Doch wer will schon als Mitgliedstaat dauerhaft auf seine günstigeren Zinskonditionen verzichten? Dazu kommt, dass nach den uneingelösten Maastricht-Kriterien auch der erzieherische Effekt durch die Finanzmärkte verloren geht.

Was liegt also näher, als die Strukturen im ökonomischen Makrobereich durch die verteilte Macht der Quantenwelt neu gestalten zu lassen? Hinweise darauf gibt es bereits zahlreiche: Shared Space, Commons, Open Source etc.
Wenn wir die von der aktuellen, strukturbedingten Finanz- und Wirtschaftskrise ausgehende Energie des Widerstands konstruktiv einsetzen wollen, dann benötigen wir dafür erst einmal einen Konsens über die Beschaffenheit der ausgleichend verteilenden Machtstruktur. Karl Popper hat dafür den Begriff "bloß formale Freiheit" geprägt. Er warnte allerdings auch davor, dass nicht "eines Tages die falschen Personen diese ausgedehnten Gewalten in die Hand bekommen".

Fassen wir ergänzend zusammen:

1. In nachhaltig gerechter verteilenden Machtstrukturen wirken keine Zinseszinseffekte anonymisierter Finanzmärkte.
2. Anonyme Renditeinteressen von börsenotierten Unternehmen oder durch stille Kapitaleinlagen sind ebenfalls out.
3. Es gilt das Prinzip der Subsidiariät, wodurch den Interessen der kleineren Wirtschaftseinheiten der Vorrang gebührt.
4. Finanzwirtschaftliche Aktivitäten dienen ausschließlich realwirtschaftlichen Interessen.
5. Die Strukturgebenden haben kein eigenes Budget.

Ein ökonomisches Fernziel muss es sein, den nicht einklagbaren Art. 23 (1) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ohne weiteres Zutun durch gemeinschaftliches Wirtschaften lebendig werden zu lassen. Wir beginnen mit der Realisierung dieses Ziels in der Größenordnung einer Oase durch die Vernetzung kleiner bis mittelgroßer Wirtschaftseinheiten. Die Einladung zum Mitgestalten ist somit verkündet. Verbunden damit ist die Hoffnung, eines Tages diesen Satz aussprechen zu dürfen: "Okay, Finanzmärkte, wir hatten ein Problem.".